Ohne lokale Freunde oder Bekannte bist du in einer fremden Stadt Tourist, bestenfalls Besucher. Da helfen auch die besten Reiseführer und Insider-Tipps nicht groß weiter. Aber vielleicht dieser Trick? Ich verrate dir zehn Geheimnisse Mailands, die sogar viele Mailänder nicht kennen.
Geheimnisse des Mailänder Doms
Erster Anlaufpunkt bei einem Mailandbesuch ist der Dom mit seiner statuenreichen Marmorfassade und den Domterrassen. Auch das Innere des riesigen Mailänder Doms beeindruckt, denn mit über 11.000 m² Fläche ist er eine der größten Kirchen der Welt. An seiner Fassade, inmitten der Vielzahl Statuen, versteckt sich ein erfundener Heiliger: San Napoleone. Er befindet sich an der dem Palazzo Reale zugewandten Seite, auf dem dritten Strebpfeiler von der Hauptfassade aus gesehen. San Napoleone ist in ein antikes Gewand gehüllt, trägt Fußketten und die Arme trotzig vor der Brust verschränkt. Erfunden wurde der Heilige von Kardinal Caprara als San Neapolis, christlicher Märtyrer aus dem 4. Jahrhundert, gefoltert und im Gefängnis verstorben. Zu Ehren Napoleons, Herrscher in Mailand von 1805 bis 1814 und Vollender der Domfassade, wurde er umbenannt.
Gleich am Haupteingang, um die Gottesdienste nicht zu stören, verläuft eine im Boden eingelassene Meridianlinie aus Messing. Zwei Astronomen aus Brera konstruierten sie 1776, um Sonnenhöchststand und Ostern genau festlegen zu können. Sie funktioniert auch heute noch präzise! Sobald der Lichtkreis des Sonnenstrahls zum Tageshöchststand der Sonne auf der Meriadianlinie erschien, lief ein Beobachter auf den Kirchplatz und schwenkte ein Fähnchen seinem Kollegen auf dem Turm des Giureconsulti-Palastes zum Zeichen. Dieser gab das Signal in Richtung Castello Sforzesco weiter, von wo aus ein Kanonenschuss allen Mailändern die Mittagszeit signalisierte.
Der Blick von den Domterrassen ist spektakulär und die Nähe zu den Skulpturen ist es auch. Wer sich der güldenen Madunina, der Madonnenfigur, zuwendet, kann entlang der Vorsprünge am höchsten Punkt des Doms einige Figuren erkennen, die ganz und gar nichts mit Religion zu tun haben. Linkerhand befinden sich mehrere Boxerpaare, die in den 1920er Jahren berühmt waren. Auch die Gesichter der Figuren auf der rechten Seite können Persönlichkeiten dieser Zeit zugeordnet werden. Eines zeigt zweifellos das – durch einige Locken getarnte – Gesicht Mussolinis, identifizierbar am rechteckigen, markanten Unterkiefer. Dazu kommen Arturo Toscanini und König Vittorio Emanuele. Wohl ein Scherz der Restauratoren, die ihre gegenwärtige Realität der 1920er Jahre auf dem Dom verewigten.
Die Schlange der Visconti
Auf Reliefs, Wappen und Bildern taucht sie auf – die Schlange, ital. biscione oder „El bissun“ im lombardischen Dialekt. Hier hat kein Magier seine Spur hinterlassen, die Schlange ist Symbol und Wappentier der Familie Visconti, einst Herzöge von Mailand. Um den Weg der Riesenschlange, die einen Menschen im Maul trägt, auf das Wappen der Visconti ranken sich verschiedene Legenden. Ein Visconti soll sich so bei seinem Unterstützer für den Posten des Erzbischofs bedankt haben. Ein anderer bedankte sich für den ausgebliebenen Biss der Viper, die sich unbemerkt in seinem Helm befunden hatte. Eine dritte erinnert daran, dass Umberto, Stammvater der Visconti, Mailand vom Kinder fressenden Ungeheuer im See Gerundo (heute ausgetrocknet) befreite. Fakt ist, vom Wappen der Visconti aus schlängelte sich das Ungetüm auf diverse andere Logos: das der Stadt Mailand, des Fußballvereins Inter und des Autoherstellers Alfa Romeo, ursprünglich in Arese vor den Toren Mailands zu Hause.
Die alte Sakristei in der Kirche Santa Maria delle Grazie
Die Kirche Santa Maria delle Grazie beherbergt eines der berühmtesten Kunstwerke der Welt: Das Abendmahl Leonardo da Vincis (dazu gleich mehr). Wenig bekannt ist, wohl weil nur zu Zeiten von Ausstellungen zugänglich, die alte Sakristei, ein rechteckiger Saal mit gemaltem Sternengewölbe und Fresken, die Szenen aus dem Alten und Neuen Testament zeigen. Hinter einem der wertvollen Intarsienschränke verbirgt sich der Eingang zu einem unterirdischen Gang, den Ludovico Sforza einst nutzte, um von seinen Gemächern im Castello Sforzesco in die Sakristei zu gelangen.
Das Letzte Abendmahl Leonardo da Vincis
Im Refektorium (Speisesaal) der einstigen Klosterkirche Santa Maria delle Grazie befindet sich das Letzte Abendmahl (auch Cenacolo Vinciano genannt) Leonardo da Vincis. Es ist für seine Umsetzung der Perspektive und die Ausdrucksstärke der Figuren schon kurz nach seiner Entstehung berühmt geworden. Leonardo nutzte echte Modelle für die Bildnisse der Apostel und von Jesus. Besonders die Suche nach einem Modell für die Darstellung von Jesus nahm Leonardo in Anspruch. Wo findet sich schon ein Mensch ganz ohne Sünde? In Rom fand er schließlich einen wunderschönen Jüngling. Zwei Jahre später, jetzt fehlte noch der Judas, wird Leonardo in einer Kneipe fündig, ein junger Mann verkörpert die Sittenlosigkeit und Verkommenheit, die dem Verräter Jesu zugeschrieben werden. Kaum war das Porträt fertiggestellt, wandte sich das Modell an den Maler: „Erkennst du mich denn nicht? Vor zwei Jahren hast du mich schon einmal gemalt!“ Wahr oder nicht, die Legende zeigt, dass das Gute und das Böse in jedem Menschen verborgen ist und es an uns selbst liegt, welche Kraft stärker ist.
Der rätselhafte Brunnen im Parco Sempione – I bagni misteriosi
Seit ihrer Restauration im Jahr 2008 ist die Installation wieder in voller Pracht zu bestaunen – im Garten der Triennale im Parco Sempione gleich in der Nähe des Castello Sforzesco. Der rätselhafte Brunnen, Bagni misteriosi stellt ein Strandbad inklusive Badende (diese allerdings in Kopie, die Originale befinden sich im Museo del Novecento am Domplatz) dar. Sein Schöpfer, der gebürtige Grieche Giorgio de Chirico, schenkte seine Hommage an das Meer der Stadt Mailand aus Anlass der XV. Triennale 1973.
Relief des unanständigen Mädchens
Jetzt geht es kurz unter die Gürtellinie. An antiker Kunst Interessierte wissen, kein Museumsbesuch ohne eine Prise Pornografie (nicht nur in Neapel). Aber dieses Bild aus der Antikensammlung des Castello Sforzesco ist eine Seltenheit. Das liegt an seinem Motiv: ein Mädchen, das sich eine Intimrasur verpasst. Das Relief aus dem 12. Jahrhundert gehörte einst zum Stadttor Porta Vittoria, das von den Mailändern auch Porta Tosa (‚tosa‘ steht für ‚Mädchen‘ im lombardischen Dialekt) genannt wurde. Dem Mädel werden drei verschiedene Ursprünge nachgesagt. Ihrer Haartracht und Kleidung zufolge könnte es eine Verspottung der Frau von Friedrich Barbarossa sein, der Mailand belagert hatte. Oder es handelt sich um eine Dirne, diesen hatte die Stadt Mailand aus hygienischen Gründen eben diese Prozedur vorgeschrieben. Drittens, könnte es sich um ein apotropäisches, also Unheil abweisendes Bild handeln. Eine Legende erzählt, viertens, von einem mutigen Mailänder Mädchen, das sich mit einer obszönen Geste gegen die Belagerung ihrer Stadt wandte, so die Belagerer beleidigte und sich dabei nicht einmal von den Pfeilen, die an ihr vorbeiflogen erschrecken ließ.
Flamingos im Garten der Villa Invernizzi
In der Via dei Cappuccini 3 (M Palestro) scheint sich ein Stück Tropen in der Großstadt zu verstecken. Wenn man von hier in den Garten der Villa Invernizzi schaut, erblickt man neben Enten und Pfauen rosa Flamingos! Villa und Garten gehören der Familie Invernizzi, Gründer einer italienischen Lebensmittelfirma, heute Sitz ihrer Stiftung und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Zum Glück, denn so leben die Flamingos hier schon seit Jahrzehnten ungestört und lassen sich von Spaziergängern vom Tor aus bewundern.
Zeichen der Fünf Tage in der Via della Spiga
Fünf Tage – nicht im Juli, sondern im März. Im März des Jahres 1848, die Zeit der europäischen Nationalbefreiungsbewegungen. Als in Wien ein Aufstand ausbrach erhoben sich auch Venedig und Mailand gegen die Österreichische Fremdherrschaft. Der Aufstand war chaotisch, ohne Führung kämpften Arbeiter, Handwerker und Kleinbürger mit Barrikaden und nur wenigen Gewehren gegen die Österreicher und zwangen Radetzky, Oberbefehlshaber der Österreichischen Armee, zum Rückzug aus Mailand, wenn auch nur für drei Monate. Kampfspuren von damals sind heute noch sichtbar, so im Corso Venezia 13 und in der Via della Spiga, in Mailands edlem Modeviertel. In der Sprache haben die Kämpfe ebenfalls ihre Spuren hinterlassen: „è un quarantotto“ („Es ist wie 48“) – mit diesem Ausdruck bezeichnen die Mailänder eine chaotische Situation.
Scala Werkstatt Ansaldo
Einen Blick hinter die Entstehung nicht nur der Bühnenbilder am Mailänder Opernhaus Scala erlaubt der Besuch in der Werkstatt Ansaldo, die sich in einem alten Stahlwerk in Zona Tortona (in der Nähe der Armani Silos und des MUDEC Museo delle Culture) im Südwesten der Stadt versteckt. Szenenbilder, Möbel- und Kostümwerkstätten auf 20.000 m² in drei Hallen hat alles Platz, was für die Erschaffung einer Oper benötigt wird. Auf der Führung kannst du die Probebühnen für Chor und Regie, die Werkstätten und die Ausstellung von mehr als 60.000 Kostümen sehen.
Via Bergognone 34 | M Porta Genova, Bus 68 | Di-Do 9-12 Uhr, 14-16 Uhr | Anmeldung obligatorisch Tel. 02 88795650 oder E-mail: servizi@civita.it
Unterwegs auf den Navigli
Im Mitelalter dienten die Kanäle Mailands navigli als unverzichtbare Transportwege nach und in Mailand. Heute existieren nur noch drei davon, die anderen wurden zugeschüttet und zu Straßen umgebaut. Seit 2007 können Interessierte die bestehenden Kanäle wieder befahren: entlang des Naviglio Grande, vorbei an der Gasse der Wäscherinnen, am alten Hafenbecken Darsena und weiter auf dem Naviglio Pavese bis zur Schleuse Conchetta, kürzlich restauriert und wieder funktionstüchtig (Vorführung inbegriffen). Mit ein wenig Fantasie gelingt sie so vielleicht, die Zeitreise.
im Frühling und Sommer | Abfahrt Alzaia Naviglio Grande 4 | M Porta Genova, Tram 2, Bus 47, 74 | Reservierung unter www.naviglilombardi.it oder Tel. 0292273118
Buchtipp
Wer auf den Geschmack gekommen ist und mehr Geheimnisse entdecken möchte, dem empfehle ich die Bücher Milano insolita e segreta (ital.) oder Secret Milan (eng.)*, dem ich diese Geheimnisse entnommen habe.
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Fotos: Jacob Balzani Lööv