Hoch. Laut. Intensiv. Viel Gefühl, viel Gesang und zu viele schwer verständliche Worte. Oper hat für mich etwas vom Barolo, dieser Wein reift besonders lange. Dafür hat er eine außerordentliche Qualität. Ich mag Oper. Gleichzeitig habe ich ein bisschen Ehrfurcht vor dieser Kunstform. Warum? Ich dachte bisher immer, ich müsse viel über eine Oper wissen, um sie zu verstehen. Vielleicht habe ich Giuseppe Verdis La Traviata gebraucht, um zu verstehen, dass das nicht stimmt. Die Geschichte in La Traviata ist bewegend und überhaupt nicht antiquiert, die Melodien sind wunderschön (trotz Wiedererkennungseffekt) und die zeitlosen Texte scheinen fast modern. Diese Geschichte trifft ins Herz.
Ein Opernabend beginnt
Seit Wochen schon freue ich mich auf diesen Abend. Ich fliege nach der Arbeit nach Hause, Kleider und Verpflegung liegen bereit (wichtig: nie hungrig in die Oper gehen). Zur Vorfreude hatte ich schon eine Rezension der Saisonpremiere gelesen und etwas über den Inhalt der Oper – besser auf alles vorbereitet sein. Meine Vorstellung: Eine Oper ist komplex, es kann nicht schaden, wenn ich die wichtigsten Personen und die Eckpunkte der Handlung schon mal kenne.
Wir fahren pünktlich direkt vor der Scala vor, bewundern die festlich beleuchteten Gebäude um sie herum. Mailands Zentrum strahlt und funkelt im Advent, ist eine große Bühne. Wir betreten den Vorraum des Theaters und damit die temporär größte Ansammlung von Pelzmänteln in der Stadt. Die Mailänderinnen sind erwartungsgemäß Herrinnen der Mode, die Herren in dunklen Anzügen (immer mit Krawatte). Flache Schuhe sind durchaus eine Option, ich entdecke nur ein einziges Paar Jeans. Unsere Loge palco in der vierten Reihe links ist schmal und wie der gesamte Zuschauerraum in rote Samttapete gewandet. Jede hat ihren eigenen Garderobenraum. (Deshalb wird sich das Theater nach der Vorstellung so schnell wie das Kolosseum leeren.) Dann gilt meine Begeisterung dem Zuschauerraum!
Während die aktuelle Inszenierung Dmitri Tscherniakows die Kritik enttäuschte, macht der Verriss mich solidarisch. Sollen die Traditionalisten meckern. Ich bin offen für Neues! Und ich bin – was La Traviata angeht – nicht voreingenommen! Weder „müde Stimmen“ noch „hässliche Fetzen“ können mir die Begeisterung nehmen.
Vorhang auf
Als bei brennendem Licht ein Herr mit Mikrofon vor dem Vorhang erscheint, kann das nur eins bedeuten: entweder die Violetta, gesungen von Diana Damrau oder Alfredo, gesungen von Piotr Beczala, ist krank. Als der Vorhang aufgeht, steht eine bezaubernde brünette Sopranistin (mein Fehler – Namen nicht notiert, trage ich nach!) auf der Bühne – Violetta – und bereitet sich auf die anstehende Party vor.
La Traviata von Giuseppe Verdi – Erster Akt
“Der Rest der Nacht soll ein rauschendes Fest sein. Stoßt alle fröhlich an! Ich will fröhlich sein und der Wein ist reine Medizin. Ja, nur wer feiert, lebt wirklich!“
Violetta ist eine Partymaus und macht das schon ein paar Jahre so. Sie hat dabei meist einen vermögenden Liebhaber an ihrer Seite. Feiern ist lange schon ihr Lebensinhalt. Doch sie ist krank (Tuberkulose) und weiß, dass sie ihr Leben ändern müsste. Ein neuer Gast platzt in die eingespielte Feiergemeinschaft. Er durchbricht die herrschende Oberflächlichkeit mit seiner Fürsorge für die Gastgeberin Violetta und gesteht ihr am Ende seine Liebe. Sein Lohn? Ein herablassendes:
„Ich bin ehrlich. Liebe kenn‘ ich nicht.“
Beide bestehen im folgenden Duett herrlich auf ihren gegensätzlichen Positionen. (In einem Duett singen zwei, aber eben nicht das gleiche!) Der Liebende erhält zum Abschied eine Kamelie (die Geschichte stammt von Dumas: Die Kameliendame), die er zurückbringen darf, wenn sie verwelkt ist. Eine kleine Spielerei und eine offene Tür. Violetta beginnt sich zaghaft an ihre Mädchenträume von wahrer, gelebter Liebe zu erinnern, doch in ihr überwiegen Zweifel.
„Wäre wahre Liebe ein Unglück für mich? Unbekannt ist mir die Freude zu lieben und geliebt zu werden!“
Erinnert mich ein wenig an ganz frischen Liebeskummer, in den man sich ohne Boden versenkt. Nur in Violetta ist dieses Gefühl über die Zeit konserviert. Doch es hat die Sehnsucht nach wahrer Liebe, die auch am Krankenbett besteht, nicht ausgelöscht.
„Mein Leben folgt den Pfaden der Lust.“
Hartnäckigkeit und das Locken des Glücks – einige Monate später siegt der Mädchentraum der Liebe und Violetta zieht mit Alfredo aufs Land und beendet ihr altes Leben.
La Traviata von Giuseppe Verdi – Zweiter Akt
Dann gefährdet der Besuch von Alfredos Vater das Glück. Violetta hofft auf einen wahren Neuanfang und das Vergeben der Gesellschaft. Eine Illusion. Der Vater bittet sie, sich von Alfredo zurückzuziehen, damit dieser zur Familie zurückkehren und seiner Schwester die Heirat ermöglichen kann. Violetta liebt Alfredo innig, hat in ihm gefunden, was sie nie hatte: Geliebten, Freund und Familie. Doch der Vater lässt nicht locker und beginnt, den mangelnden Stand der Beziehung in der Gesellschaft und ihre Unsicherheit auszunutzen, um sie zum Verzicht zu bewegen.
Die Frage nach der zweiten Chance ist immer aktuell. Dieser Dialog berührt mich besonders, weil sich in Alfredos Vater und Violetta zwei Menschen in unterschiedlichen Situationen gegenüberstehen, die für dasselbe kämpfen: ihre eigene Familie. Daher fehlt der Konfrontation jegliche Bösartigkeit. Beide können sich nur auf ihre Überzeugungskraft verlassen. Alfredos Vater ist in der stärkeren Position, er hat die Ehre auf seiner Seite. Violetta ist noch nicht in ihrem neuen Leben angekommen, die fehlende Akzeptanz der Außenwelt lässt sie nicht unberührt. So hat sie der Bitte des Vaters nichts entgegenzusetzen und gibt ihr nach. Sie übernimmt die Wertung, ihr Glück sei weniger wert als das der anderen. Sie hat keine Familie und wünscht sich gleichzeitig nichts sehnlicher. Weil Alfredos Vater im Namen des Familienglücks argumentiert, gibt sie nach.
„Seien sie für meine Familie der rettende Engel.“
„Darf eine Unglückliche, die einmal gefallen ist, keine Hoffnung haben, je wieder aufzustehen?“
Zum Abschied:
„Umarmen sie mich wie eine Tochter!“
Ich kann nicht mehr. Tränen kullern. (Macht gar nichts, ist ja dunkel in der Loge.) Alfredo ist verzweifelt, dessen Vater hat sein Ziel fast erreicht. Jetzt muss der nur noch seinen Sohn wieder aufrichten. Das gelingt nicht so gut.
Der fährt lieber auf den Ball, wo er Violetta vermutet – um sich zu rächen.
La Traviata von Giuseppe Verdi – Dritter Akt
Alfredo erscheint auf der Party, wird bestaunt, ausgefragt, allerdings ohne tieferes Interesse. Das Partyvolk geht schnell zum gewohnten Programm über.
„Wie gelassen! Dann können wir ja spielen.“
Violetta erscheint in einem schreiend grünen Kleid und strenger Lockenfrisur im Stil der 1950er Jahre, und hat darin so wenig bourgeoise Eleganz wie ein ausgetrockneter Wüstenfluss Wasser. Mir gefällt diese Verfremdung Violettas, deren innere und äußere Schönheit so wenig in dieses Kleid passt wie sie selbst in ihr altes Leben.
Die Stärke ihrer Liebe zu Alfredo hat längst dessen Vater auf ihre Seite gezogen, der sie nun gegen den wütenden Sohn in Schutz nimmt.
Ich möchte das Ende nicht vorweg nehmen! Zum Schluss mein Fazit: Eine zugängliche Inszenierung, die mir gefallen hat. Der Applaus für Violetta mit Brava!-Rufen war riesig! Die Sopranistin, die für Diana Damrau eingesprungen war, einfach wundervoll! (Ihren Namen muss ich nachtragen.) Es gab ähnlich starken Applaus für Alfredo (diesmal keine Pfiffe!) und seinen Vater.
Mein ehrlicher Tipp, wenn in Italien, geht in die Oper! Die Oper lebt! 🙂
Links zum Teatro alla Scala in Mailand
- Website Teatro alla Scala
- Eintrittskarten für die Scala kaufen – Teatro alla Scala
- ARTE TV Aufzeichnung der Saisoneröffnung 2013/2014 La Traviata (noch bis 6. Januar 2014 verfügbar!)