Die Berge in eine haltbare und genießbare Form gießen. Über den Geschmack die Gerüche, das Wetter, die Stimmung eines Tages in den Bergen wieder hervorrufen – das schafft er problemlos: der Bergkäse. Direkt auf der Alm gekäst und gereift konservieren diese Käse ihre Umgebung und haben dabei uralte Traditionen, Erfahrungen und mit ihnen Emotionen gespeichert. Wie lebt es sich mit diesen Traditionen? Wer macht diesen Käse? Ich gehe in Ossola auf Recherche.
Gegen acht Uhr komme ich auf Alpe Nembro an. Die Morgensonne verspricht einen prächtigen Tag. Das morgendliche Melken habe ich schon verpasst.
Ich bin für eine Recherche über eine Sennerfamilie auf die Alm Nembro gekommen. Ich werde den ganzen Tag mit ihnen und ihren Helfern verbringen. Silke stammt ursprünglich aus Bremen. Aus der Erlebnispädagogin mit ausgeprägtem Faible für die Natur ist eine Sennerin geworden, die mit ihrer Familie jedes Jahr für fast fünf Monate auf der Alm lebt – Leben und Arbeiten im Rhythmus der Jahreszeiten. Nach unserem ersten Gespräch im Tal möchte ich das Leben auf der Alm kennenlernen.
Käsen am Morgen
Am Morgen wird die frische Milch vom frühmorgendlichen Melken gekäst. Sechs Monate später ist daraus der gereifte Grasso d’Alpe geworden, ein Halbhartkäse aus nicht abgerahmter Milch, hergestellt fast genau wie die DOC-Käse Fontina und Bettelmatt. Die Milch mit dem hinzugefügten Lab wird auf etwa 40 °C erhitzt. Durch Rühren entsteht eine mozarellaartige Masse, die sich am Boden des Kessels sammelt. Sie wird kurz darauf in die runden Käseformen gepresst. Aus dem Rahm der übrig gebliebenen Milch entsteht später Butter.
Nur etwa ein Prozent der in Italien hergestellten Käse sind echte Bergkäse, direkt von der Alm, wie Silke und Giuseppes Grasso d‘Alpe. Die Besucher und Käufer schätzen die Einzigartigkeit des Geschmacks, die Ursprünglichkeit, das Erlebnis, das sie in keinem Supermarkt weit und breit kaufen können. Warum?
Perché conservano sapori antichi, sono unici, irriproducibili altrove, mantengono legami stretti, chimici ed emozionali, con i gli animali, l’aria, l’acqua, la terra, le pietre dei luoghi d’origine; perché chi li compra, altre al formaggio si porta via una storia, un’esperienza un ricordo, un bene culturale. (Luigi Ranzani, Alla scoperta di alpeggi e formaggi. Passegando tra Verbano e Ossola. Monte Rosa Edizioni 2013, S. 4)
Weil sie alte Geschmacksnoten bewahren, einzigartig sind, anderswo nicht reproduzierbar, enge, chemische und emotionale Verbindungen mit den Tieren, der Luft, dem Wasser, der Erde, dem Stein ihres Entstehungsortes behalten; weil der, der diese Käse kauft, darüber hinaus eine Geschichte, eine Erfahrung, eine Erinnerung, ein Kulturgut mitnimmt.
Leben auf der Alm
Das Leben auf der Alm beginnt im Juni und dauert etwa fünf Monate. Am Beginn des Sommers geht es auf die tiefer gelegene Alpe Nembro, Mitte Juli dann auf die Hochebene (und Naturpark) Alpe Veglia (1.700 m), die im Winter unzugänglich ist. Im September wandert die Familie wieder hinunter auf die Alpe Nembro, um das dort nachgewachsene Gras abzuweiden. Warum der Aufwand? Das Heu von den Wiesen im Tal soll für den Winter bleiben. So wird jede verfügbare Weide, auch in Höhenlagen, genutzt.
Die Senner folgen den Traditionen der vergangenen Jahrhunderte und wandern mit den Jahreszeiten. Als romantisch-naturnah oder einfach beschwerlich lässt sich dieses Leben beschreiben. Trotzdem kommen im Sommer jedes Jahr wieder Freiwillige auf die Alm, um gegen Kost und Logis mitzuarbeiten. Die Helfer müssen nichts weiter mitbringen, als die Bereitschaft, sich für sechs Wochen auf das Almleben und die Gemeinschaft dort einzulassen und Arbeiten auf Alm und im Haushalt zu übernehmen. Einen solchen Urlaub wählt, wer einen echten Kontrast zum Leben in der Stadt mit Job und Privatsphäre sucht.
Motivation und Vermarktung
Regelmäßig schauen Wanderer vorbei. Sie haben Silkes Hinweisschilder gesehen oder kennen die Familie, den Grasso d’Alpe schon. Silke bietet allen ein Stück Käse zum Kosten an und beschreibt Geschmack und Herstellung. Sie schätzt den direkten Kontakt mit ihren Kunden, die meist aus der Umgebung, der Lombardei oder der Schweiz stammen. Der Direktverkauf bedeutet eine sofortige Rückmeldung zu den Produkten. Einen Großteil des Käses verkaufen sie an Erzeugergemeinschaften in Orten im Tal und am Lago Maggiore, die direkt bei ihnen bestellen. Ein Restaurant in Mergozzo beliefern sie mit Butter.
Giuseppe, der Ossolaner, und Silke, die Deutsche, teilen die Leidenschaft für die Berge und das ursprüngliche traditionelle Leben in der Natur. Er, weil er sich kein anderes Leben vorstellen kann und sie, weil sie sich bewusst dafür entschieden hat. Die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem draußen sein, der Einfachheit hat die Norddeutsche ins Ossolatal geführt und bringt jede Saison aufs Neue wieder Städter – ob aus Wien oder Hamburg – für sechs Wochen auf die Alm, zum Kühemelken und Käse wenden im Duft der Bergwiesen.
Links und Informationen
- Alpe Veglia Naturpark (ital.)
- Naturschutzgebiete in Ossola
- Geschäft für typische Produkte des Ossolatals in Verbania La Casera, Verbania Intra, Piazza Ranzoni 19
- Almseite www.zalp.ch