“Wir taten was wir sagten, wir lebten was wir träumten.” Casa del Corvo, Farindola
Der eigene Olivenhain, Weinbau, Feigen, Tomaten und Artischoken im Garten und ein Leben in der Natur mit Kinderschar. Für Träume wie diesen ist und bleibt Italien ein Sehnsuchtsort, der Landschaft und des Klimas wegen. Tomas und seine Frau Susanne haben alle Sachen und ihre Kinder gepackt und sind in die Abruzzen auf den eigenen Hof gezogen. Was sie dort bisher erlebt haben und noch vorhaben, erzählen sie hier.
1. Wer seid Ihr und woher kommt Ihr? Wir sind ein Diplom-Geograf und selbstständiger Reiseveranstalter und eine Gymnasiallehrerin, die ursprünglich aus Nordrhein-Westphalen stammen. Wir haben uns vor 20 Jahren während des Studiums in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, kennengelernt. Jetzt leben wir seit etwas mehr als zwei Jahren in Farindola, Provinz Pescara in den Abruzzen.
2. Wie habt Ihr euer neues Zuhause gefunden? Wie lange hat es gedauert und wer oder was hat Euch geholfen? Wir haben knapp zwei Jahre für die Suche gebraucht. Dabei standen Fragen wie: wachsen dort Oliven, ist es sonniger und wärmer als in Mecklenburg-Vorpommern im Vordergrund. Das es die Abruzzen in Italien werden, wussten wir anfangs nicht. Theoretisch hätten es auch Portugal oder Georgien sein können. Unsere Suche haben wir 2011 in Italien, in der Region Molise begonnen. Von dort führte sie uns über die Marken in die Abruzzen. Dabei hatten wir stets Glück, entweder mit der deutschsprachigen Schwiegermutter unseres ersten Maklers in Molise, danach mit einem Münchner Makler, der in den Marken wohnte und zuletzt mit Claudio und Serena, die aus den Abruzzen stammen.
3. Warum habt Ihr Euch dann für diesen Ort und die Abruzzen entschieden? Die Abruzzen sind ein geniales Archiv für Geografen, Historiker, Trekkingfreunde und Kunstwissenschaftler. Zugleich ist es das Land, in dem die Berge das Meer küssen – eine tolle Mischung. Es gibt hier im Vergleich zur Landesfläche der Abruzzen den flächenmäßig größten Anteil an Nationalparks und Schutzgebieten in Europa. In den Abruzzen leben Wölfe und Bären, Flamingos und Steinadler, Gämsen und Luchse. Die langsam gewachsene Kulturlandschaft lebt im “Einklang” oder “Ausgleich” mit der Wildnis. Gleichzeitig war die Region lange armes Auswanderungsland. Aus den Abruzzen stammen Ovid, Ignazio Silone und die Eltern von Popqueen Madonna. Die Region ist geprägt von regionaler und kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Die Jugend zieht eher weg. Die Familien sind nicht mehr so groß und es gibt viele Immobilien, die zerfallen und denen ein neues Leben gut stehen würde.
4. Was sind Eure Pläne? Wie sieht Eure Vision für in fünf Jahren aus? Unser Plan ist ein sanfter Tourismus: ein paar Plätze zum Zelten, Wohnmobilstellplätze und Ferienzimmer herrichten – eher à la slow travel. Wir haben regionales Insiderwissen was die Herkunft, Zubereitung und Geschichte von traditionellen Spezialitäten betrifft und wir kennen die Anbieter gut. Ich biete Exkursionen und geführte Touren zu den schönsten Plätzen an, auf denen ich Ornithologie, Geologie, Regionalwissen und kulinarische Highlights vermittle. Wir sind bereit für unkonventionelle Besucher!
5. Wie sieht Euer Alltag aus? Im Moment renovieren wir unser Haus noch. Wir kultivieren drei Hektar Land und das heißt Bäume pflanzen und pflegen, Holz machen, einen Teich anlegen, den Nachbarn helfen. Ein Gewächshaus bauen, den Traktor reparieren und einfach unzertifiziert bioackern, ernten & konservieren. Wir führen eine umfangreiche Subsistenzwirtschaft! Brot backen wir ausschließlich selbst. Drei Viertel unseres Essens stammen aus unserem Garten und haben nie eine Straße gesehen. Von unseren zwei Kindern geht eins in die Schule und eins in den Kindergarten. Wir müssen das italienische System noch besser kennenlernen.
6. Welche Hindernisse sind Euch bis jetzt begegnet? Wasserrohrbrüche, eine fehlerhafte Kanalisation, geklaute Heizkörper, ein undichtes Dach, ein brennender Schornstein sind einige Beispiele. Für uns sind die Kosten für die öffentliche Ver- und Entsorgung nicht immer nachvollziehbar, aber da geht es unseren Nachbarn ähnlich. Kommunale Erlässe, die auf neuen italienischen Gesetzen beruhen, ändern sich oft überraschend schnell und unerwartet. Es gibt aber auch Positives. So gingen Einschulung und die Anmeldung für den Kindergarten sehr unkompliziert. In den Abruzzen ist einiges möglich, auch wenn die staatlichen Vorgaben andere Dinge vorsehen, zumindest hier auf dem Lande. Trotz der Hindernisse: wir wurden sehr herzlich und offen aufgenommen. Das muss in ländlichen Regionen nicht zwangsläufig der Fall sein. Aber als junge Familie mit Kindern in Italien ist das wohl nicht ungewöhnlich.
7. Was motiviert Euch, nicht aufzugeben und weiterzumachen? Wir wollen uns unsere Freiheit erhalten und weiter ausbauen. Weitestgehend unabhängig bleiben – beim Saatgut angefangen. Uns motiviert die Anerkennung unserer Nachbarn, die Erfolge auf dem Acker, der Füllstand von Gefriertruhe und Einweckregal, der hohe Prozentsatz selbst hergestellter, gesunder Lebensmittel auf unseren Tellern und das wachsende Wissen über Anbau, Verarbeitung und Konservierung. Wir mahlen unser Mehl, wir backen unser Brot, wir sind Schornsteinfeger, Müller, Bäcker, Bauer, Kanalbauer, Dachdecker und Exkursionsanbieter.
8. Was hat Euch am meisten vor Ort, in den Abruzzen, in Italien überrascht? Vor allem die Offenheit der Leute, ihre Ehrlichkeit und Gastfreundschaft, die Kinderliebe. Aber auch der ausgeprägte Dialekt, der von Tal zu Tal verschiedene Wörter für ein und dieselbe Sache kennt. Dem Klischee des warmen und sonnigen “Bella Italia” widersprechend, überraschen uns immer wieder die regionalen Klimaextreme: starke Winde, kurzfristige, massive Schneefälle und Starkregenfälle. Aber eigentlich ist auf die italienische Wärme Verlass. Wir genießen das draußen frühstücken zu allen Jahreszeiten.
9. Warum sollte ich in die Abruzzen reisen? Was kann ich erwarten? Was finde ich nur dort? Entweder man fährt durch die Abruzzen ohne anzuhalten hindurch oder man bleibt völlig überrascht dort, um die Gegend zu entdecken. Wahrscheinlich ist es die einzigartige Mischung von alpinen und mediterranen Landschaften, Bergsteppen, Karst, endlosen Buchenwäldern, kargem Hinterland, mitunter strengen Wintern, Oliven-, Feigen- und Orangenhainen, Trüffel und Safran, Meeresfrüchten und Arrosticini-Lammspießchen! Neben wunderschönen Küstenabschnitten wie der Trabocchiküste leben die kulturelle Vielfalt, uralte Sitten und Bräuche in all den unbekannten Tälern der Abruzzen stets fort. Es ist überraschend authentisch. Viele sind hier Nichtschwimmer, manche verstehen kein italienisch, sondern ausschließlich ihren Dialekt. Das war neu für uns.
Vielen Dank, Susanne und Tomas, für diese Einblicke! Ich hoffe, bald wieder von Euch zu lesen 😉