Ostasiatische Perfektion – Kamelien am Lago Maggiore

Die Kamelien gehören zum Lago Maggiore, wie die tief hängenden Wolken nach einem Regentag im April, die stoisch im Borromäischen Golf ausharrende Isola Madre mit ihrer imposanten Zypressenkiefer nebst Renaissance-Palast und den aus Norden strömenden Autokarawanen, die die Straße um den See von Ostern bis Spätsommer mit noch dichterem Verkehr bereichern. Doch wie kam der exotische Teebaum mit der üppigen Blütenpracht an den Lago Maggiore?

Von März bis April färben sich die zahlreichen Kamelien am Lago Maggiore am Seeufer, in den Parks und Gärten rot, rosa, weiß oder einer Mischung davon. Die Kamelie ist das inoffizielle Wahrzeichen des Lago Maggiore, von Spätwinter bis Frühling begegnet man ihrer üppigen Blütenpracht hier überall. Aus China und Japan brachten Händler die Bäume einst nach Europa, wo sie im 18. Jahrhundert die Herzen europäischer Adliger eroberte. Alexandre Dumas und Giuseppe Verdi setzen ihr künstlerisch ein Denkmal. Weil mich die Perfektion der Kamelien fasziniert, ist die jährlich Ende März in der Villa Giulia in Pallanza stattfindende Kamelienausstellung Mostra della camelia für mich fast ein Pflichttermin. Begeisterung ambitionierter Gärtner und Züchter hat zu drei Tausend Kulturvarietäten der Kamelie geführt. Die für den Lago Maggiore typischen Varietäten sind während der Ausstellung in der Villa Giulia zu bewundern.

Villa Giulia Pallanza Mostra della Camelia

Lohnenswert sind die kostenlosen, geführten Besichtigungen in einigen, der sonst Besuchern nicht zugänglichen, Villen am See, wie der Villa Rusconi Clerici in Pallanza, die ich mir heute anschauen möchte.

Kamelien in drei Worten – Perfektion, Ausdauer und Tee

Der immergrüne Strauch oder Baum, von dem über 250 Arten bekannt sind, stammt aus Ostasien: China, Taiwan, dem südlichen Korea und Japan. Hier wächst er in Wäldern auf Höhen zwischen 300 und bis zu 1.100 Metern und kann eine Höhe von bis zu zehn Metern erreichen. Carl von Linné benannte die Kamelie nach Jesuitenpater und Botaniker Georg Joseph Kamel, der eine Art beschrieben hatte. Die oft nach der Schneeschmelze im Spätwinter beginnende Blüte trug der Kamelie den Namen Winterrose ein. Sie gehört zu den Teestrauchgewächsen, die als Zierpflanze beliebten Arten sind Camellia japonica und Camellia sasanqua. Kamelien sind langlebig, einige Kamelien in China kommen auf ein Alter von über tausend Jahre.

Von Teehändlern, königlichen Gärten und Engländern (na klar, englischen Gärten!)

Im frühen 18. Jahrhundert kamen die ersten Kamelien mit Händlern und Seefahrern nach Europa. Nach Italien gelangten sie im Gepäck von Händlern aus Lucca in der Toskana. Lady Emma Hamilton pflanzte Kamelien im englischen Garten des königlichen Schlosses Caserta bei Neapel, wo sie viele Bewunderer und Nachahmer fand. Im 19. Jahrhundert produzierten Baumschulen in Florenz, Rom und um Mailand bereits Hunderte neuer Arten – die Kamelie hatte die Herzen des Adels und des wohlhabenden Bürgertums erobert. Ein mildes Klima und saurer Boden wie an den oberitalienischen Seen und in der Toskana war die Voraussetzung, dass der Strauch dauerhaft heimisch werden konnte. Was uns heute die Orchideen sind, waren die Kamelien während der Belle Epoque – die Modeblume schlechthin. Nur wurde der Orchidee bisher noch keine Oper gewidmet – soweit ich weiß!

Dank Giuseppe Verdi ist die Kamelie Opernstar

In Japan ist die Kamelie Teil der Teezeremonie und symbolisiert Harmonie, Reinheit und Eleganz. Ganz anders in Europa. Die ersten Kamelienfans waren Adlige, die ja meist über Mittel und Platz in riesigen Gärten verfügten. Im 18. Jahrhundert entwickelt sich die Kamelie zur Modeblume von Aristokratie und gehobenem Bürgertum. Sie steht für Eleganz, Exotik und Reichtum – und die käufliche Liebe! Sie bildet damit ein Gegenbild zur reinen duftenden Rose.

Ihren zweifelhaften Ruf als Blume der käuflichen Liebe in Europa verdankt sie einem unglücklich verliebten Jungspund. Alexandre Dumas der Jüngere wählte sie zum Symbol der Frau, die er einst verehrt hatte, der früh verstorbenen Kurtisane Marie Duplessis. In seinem Roman „Die Kameliendame“ schrieb er sich seinen Kummer von der Seele. Das 1848 erschienene Buch war ein großer Erfolg, ebenso das folgende Theaterstück. Dies sah der Komponist Giuseppe Verdi in Paris 1852, der noch im selben Jahr seine darauf basierende Oper zu konzipieren begann. In seiner Oper „La Traviata“ (ital.: „Die vom Weg abgekommene“) adelte Verdi den Stoff von Dumas. Eine „gefallene Frau“ zur Hauptfigur einer Oper zu machen war gewagt und ungewöhnlich für seine Zeit, zumal Verdis Sympathien für das Leid der Frau deutlich sind. Wer Verdi kannte, war jedoch nicht überrascht. Verdis Lebensgefährtin und spätere zweite Frau, die Opernsängerin Giuseppina Strepponi, hatte drei uneheliche Kinder. Heute ist „La Traviata“ eine der am häufigsten aufgeführten Opern der Welt, ob an der Scala in Mailand oder ungewöhnlich im belebten Zürcher Hauptbahnhof inmitten Reisender und Pendler.

So gelangte die Kamelie an den Lago Maggiore

Im Gepäck toskanischer Händler aus Lucca gelangten erstmals Kamelien in die Toskana. Englische Expatriats wie Lady Emma Hamilton pflanzten Kamelien im Englischen Garten des Königlichen Palastes in Caserta bei Neapel. Von da aus eroberten die üppig blühenden Teesträucher rasend schnell die Herzen und Gartenplätze mit saurem Boden und mildem Klima. Schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts produzierten und exportierten kamelienbegeisterte Züchter in Florenz, Rom und Mailand Hunderte neuer Varietäten. Wo die Bedingungen stimmten – mildes Klima, saurer Boden – wurde die Kamelie heimisch, so am Lago Maggiore und den anderen norditalienischen Seen. Während der Belle Epoque kulminierte die Begeisterung: Die Kamelie war die Modeblume schlechthin und hinterließ Villen und Gärten voller Kamelien. Bei einem Besuch in einer der Villengärten, wie der Villa Anelli, lässt sich die individuelle Geschichte eines jeden Gartens erleben und viel über die Motivation der Gartengründer erfahren.

Kamelien am Lago Maggiore: Kamelienstrauch Lungolago Pallanza Lago Maggiore

Blumenzüchter wissen: Die Kamelie kooperiert

Unsere kleine Gruppe – neben mir selbst sind das eine französische Familie, ein deutsches Ehepaar und eine Handvoll italienische Kamelienfans – lauscht den Erklärungen unserer Führerin vom Verbania Garden Club, während wir an den großen Kamelienbüschen vorbeitrotten. Die Kamelien neigten zu Mutationen, berichtet sie. Da kann es gut passieren, dass ein Busch verschiedene Blüten ausbildet. Ein Traum für Züchter, denke ich – eine Pflanze, die kooperiert! Ein gewiefter Schachzug der Kamelie, um sich die Führung auf der Beliebtheitsskala zu sichern. Die Sonne kämpft sich derweil durch eine hartnäckige Wolkendecke.

Villa Rusconi Clerici Pallanza Lago Maggiore

Die älteren Kulturvarietäten der Kamelien haben viele Blüten, deren Perfektion jedoch kaum einen der kräftigen Regenschauer übersteht, die Blüten werden braun. Diesen Defekt versuchten die Züchter bei den neueren Sorten zu verbessern. Aber daran erkennt man eben auch die älteren Varietäten, von denen es in der Villa Rusconi-Clerici viele gibt.

Wo kann ich Kamelien am Lago Maggiore anschauen und kaufen

Wer nicht zu den Kamelienausstellungen in Verbania Pallanza und Cannero Riviera Ende März an den Lago Maggiore kommen kann, hat während der Kamelienblüte im Frühling viele andere Möglichkeiten, die prächtigen Blüten zu bestaunen. Der private Garten der Villa Anelli in Oggebbio und der Kamelienpark in Locarno sind offizielle Gardens of Excellence der International Camellia Society. Während der Kamelienblüte von Mitte März bis Mitte April können die über 400 Kamelien der Villa Anelli (mit Anmeldung) kostenlos und mit Führung besichtigt werden.

Im Kamelienpark in Locarno (Tessin, Schweiz) sind über 900 Arten zu bewundern, die über einen Zeitraum von 9 Monaten blühen (eine Art blüht quasi immer). Weitere Kamelien-Hotspots am Lago Maggiore sind die Borromäischen Inseln Isola Madre und Isola Bella, der Botanische Garten Villa Taranto, der Kamelienwald von Cheggio (Bosco delle Camellie, Ortsteil von Cannero Riviera, nur zu Fuß erreichbar) oder Oggiogno.

Wegen des milden Klimas und des perfekten sauren Bodens hat sich der Lago Maggiore zu einer Schwerpunktregion für die Blumenzucht entwickelt: Kamelien, Azaleen, Rhododendren und Magnolien werden von Verbania und den anderen Orten am See nach ganz Europa exportiert. Von Gravellona aus beliefert die Compagnia del Lago Gartencenter in Europa.

Buchtipps Kamelien

Wer in die Kamelienfaszination im 19. Jahrhundert eintauchen möchte – vielleicht zukünftige Züchter – (ich denke da nicht an mich, hehe) liest dank der ehrgeizigen Datenkrake Google Lorenzo Berlèses Kamelienmonographie „Monography of the Genus Camellia or an Essay on its Culture, Description und Classification“ (1838) online.

Die Engländerin Helena Attlee hat viele Jahre lang über und in italienischen Gärten recherchiert. Ihr neuestes Buch ist den Zitruspflanzen gewidmet. Aber um sich so richtig vom Gartenvirus anstecken zu lassen, ist sie sicher die richtige Person. In
Italy’s Private Gardens: An Inside View erzählt sie über den Garten auf Isola Bella im Lago Maggiore und viele andere Gärten Italiens.

Kategorien Natur Piemont Reisen

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Stefanie lebt mit italienischer Familie am Lago Maggiore, im Norden des Piemont. Einen Ort entdecken heißt alle Sinne nutzen – sehen, hören, zuhören, berühren, schmecken. Die Sprache sprechen kann Wunder bewirken oder ein Tanz zu lokaler Musik!

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