Wenn ich etwas unterschreiben würde, dann ist es die Widmung, die Palermos Teatro Massimo dem Besucher über seinem wuchtigen Portikus präsentiert: L’arte rinnova i populi e ne rivela la vita. Vano delle scene il diletto ove non miri a preparar l’avvenire. (Die Kunst erneuert die Völker und erhält ihnen das Leben. Vergebens alles Vergnügen auf der Bühne, wenn es nicht auf die Gestaltung der Zukunft zielt.)
Italiens größtes Theater – Die Wiedereröffnung
Es ist mein erster Besuch in Palermo, obwohl ich durch die Lektüre von Leoluca Orlandos Biografie (Bürgermeister von Palermo 1985 – 2000, mit einer Pause von 3 Jahren und wieder seit 2012) schon ein Bild der Stadt im Kopf hatte – verdichtet auf einen Ort: das Theater. (Da während unseres sehr kurzen Aufenthaltes gerade keine Vorstellung stattfindet, besichtigten wir das Theater am Nachmittag.) Nun stehe ich davor: über mir die Nachmittagssonne, hinter mir Kühlschrankmagnetverkäufer, vor mir das riesengroße Theater. Über dem Portikus mit seinen sechs Säulen eine klare Ansage, die ich für weiterhin gültig befunden habe.
In Palermo ist das keine verstaubt-leere Botschaft: Die Stadt konnte sich diesen Inhalt erst nach vielen Jahren wieder erkämpfen. Im Mai 1897 war das Teatro Massimo mit Verdis Oper Falstaff eröffnet worden. 1974 erfolgte die Schließung wegen baulicher Mängel. Sie dauerte bis 1997, weil korrupte Politiker eine Wiedereröffnung verhinderten. „Jahrzehntelang hatte die zuständige Regionalverwaltung Siziliens das Teatro Massimo verkommen lassen und statt dessen ein System von Begünstigungen und Subventionsbetrügereien aufgebaut.“ Erst während einer konsequent veränderten Stadtpolitik unter Bürgermeister Orlando, die mit Unterstützung der Bevölkerung rigoros gegen Korruption agierte („Frühling von Palermo“), wurde der reguläre Theaterbetrieb 1998 wieder aufgenommen. L’arte rinnova il popolo …
So eine Wiedereröffnung ist Teamarbeit und strahlt auf die Umgebung aus. Als reines Ehrgeizprojekt hätte die baldige Schließung gedroht. Die Kunst besteht darin, das ältere Publikum zu pflegen, neues zu erschließen und zu Fans zu machen, bei bester Unterhaltung für alle versteht sich. Am besten dazu noch Arbeitsplätze für junge Leute schaffen und alte Handwerkstraditionen in Schneiderei und Bühnentechnik lebendig halten, wie im Werkstättenprojekt.
Palermos Teatro Massimo – Eine Besichtigung
Im Foyer öffnet sich vor uns ein hölzernes Modell des riesigen Gebäudes. Den Bau des Teatro Massimo leitete Giovanni Battista Filippo, nach dessen Tod vollendete ihn sein Sohn Ernesto Basile. Die Bauarbeiten hatten zwar 1875 begonnen (bei Auftragserteilung 1868), wurden aber von Intrigen unterbrochen, wobei die Unterbrechung bis 1890 dauerte. Auf Sizilien sagen sie: „Wer rund geboren ist, kann nicht viereckig leben“ – aber was soll das eigentlich heißen?
Der Zuschauersaal fasst über 3.000 Zuschauer. Seine Kuppel ruht auf einer beweglich gelagerten Konstruktion und kann deshalb Temperaturschwankungen ausgleichen. Die Plätze in der größten Loge sind Fördersitze für Stifter und Unterstützer des Theaters.
Als ich den Stücken der Ausstellung zu Mozartaufführungen folge, ein Drache, Zeichnungen der Requisiten und Bühnenausstattungen, ist – schwupps – die Gruppe verschwunden. Passiert mir ja nicht zum ersten Mal und immer war ich über die so kurz gewonnene Freiheit froh. Vielleicht fangen die Requisiten – wieder allein – ja an Geschichten zu erzählen, vom Erstarren und Erwachen, von den Amerikanern oder die Kuppel berichtet von den Anfängen mit Caruso, der Callas und anderen Stars?
Die Freiheit der Kunst ist die Freiheit an sich
Der Zustand der Kunst an ihren Orten, die Situation der Künstler bezeugt den Zustand des Gemeinwesens. Ein Machtvakuum gibt es genauso wenig wie die Schwerelosigkeit auf der Erde. Jemand hält immer das Zepter in der Hand, und dieser jemand hat eine Meinung, seine Werte. Als die Palermitaner anfingen, das Massimo als ihr Theater anzusehen, dessen Verfall und Schließung als ihre Tragödie, wurde die Wiedereröffnung möglich, aber erst, weil vorher eine Wiedereroberung stattgefunden hatte.
L’arte rinnova i popoli e ne rivela la vita. (Die Kunst erneuert die Völker und erhält ihnen ihr Leben.) Vano delle scene il diletto ove non miri a preparar l’avvenire. (Vergebens alles Vergnügen auf der Bühne, sofern es nicht auf die Gestaltung der Zukunft zielt.)
Dazu fallen mir definitiv noch weitere Beispiele ein – Euch auch?
Tipps und Links
- Führungen im Teatro Massimo
- Spielplan der aktuellen Saison
- Video vom virtuellen Rundgang während Invasioni Digitali #invadoilMassimo
- Lektüretipp: Sizilien fürs Handgepäck: Geschichten und Berichte – Ein Kulturkompass*
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