Erwartet habe ich viele Zitronenbäume, interessante Weine, das Meer und die Vulkaninseln. Mit der sizilianischen Gastfreundschaft hatte ich nicht gerechnet. Viele Orte rühmen sich ihrer Gastfreundschaft. Zu unklar ist dieser Begriff für mich. Sizilianische Gastfreundschaft – was soll das sein?
Die beste Ankunft ist im Restaurant
Wir verlassen die Küstenstraße auf der Ausfahrt Patti, unter drei Brücken hindurch, dann Richtung Tal. Nach vier Kilometern biegen wir bei den Häusern scharf links ab und folgen der Straße hügelaufwärts. Seit wir die Autobahn verlassen haben, müssen mehr als fünf Minuten vergangen sein. Unbekanntes dehnt die Zeit, so kommt es mir immer vor, wenn ich einen Ort das erste Mal besuche. Dann erreichen wir das Agriturismo und Weingut Antica Tindari. Signora Pina empfängt uns. Unser Zimmer sei das größte der vier, im von uns gebuchten werde gerade die Wasserleitung repariert. Das Bad ist geräumig, das Bett bequem, die Terrasse einladend. Mein erster Eindruck: einfach, liebevoll und praktisch im besten Sinne, wie man Gästezimmer im eigenen Hause einrichtet.
Wenig später sitzen wir im Restaurant und hören die präzisen Beschreibungen der Gerichte des Tages. Gemüse der Saison, wilde Kräuter, fast alles selbstgemacht. Wir entscheiden uns für ein Antipasto, beide einen ersten Gang und wir teilen uns einen Zweiten. Und dazu einen Weißwein aus dem Hause Tindari. So schmeckt ankommen – und dauert seine Zeit. Bereits nach dem ersten Stück Antipasto bin ich mit dem engen Flugzeug, der Wartezeit auf unseren Cinquecento und der Fahrt versöhnt. Signora Pina schenkt nach und wir kommen ins Gespräch. Jetzt nach 21.00 Uhr sind wir die einzigen Gäste. Wachsendes Interesse und offene Neugier lassen uns gern zuhören, erwidern, Fragen stellen.
Signora Pina (formelle Anrede und Vorname gemeinsam sind möglich im Italienischen und ich mag die so entstandene Mischung aus Respekt und Vertraulichkeit) übernahm nach 35 Jahren in der Versicherungsbranche in Mailand das großelterliche Weingut. Als ich ein Wort im Italienischen suche, wechselt sie wie unbemerkt ins Englische. Sie hat einige Zeit in England, Amerika und Australien gearbeitet. Seit sie vor acht Jahren nach Sizilien zurückgekehrt ist und das Weingut übernommen hat, versucht sie althergebrachte, unpraktische Regeln zu verändern (Beispiel: offizieller Saisonbeginn und Ende – wer lässt sich schon die passende Urlaubszeit vorschreiben? Nach Saisonende ist es dann dafür schön ruhig und verschlossen!) Sie hasst die Behauptung, auf Sizilien gebe es keine Arbeit. Es gäbe doch so viel, das man machen könnte!
Wo andere starren Regeln folgen und handwerkliche Traditionen wie die traditionelle Käseproduktion als rückständig ablehnen, sieht sie Möglichkeiten und Chancen. Die Sizilianerin, die einst große Pötte versicherte, hat eindeutig Unternehmergeist! Vielleicht braucht es gerade das in Sizilien und überall, denke ich. Warum sollen handwerkliche Techniken in Vergessenheit geraten, weil die Kinder denken, die Techniken seien rückständig und lieber fortgehen, um anderswo billige Jobs zu machen? Dann doch lieber den alten Käse in neues Licht setzen, die Traditionen wieder aufmöbeln und als lokale Spezialität anbieten! It’s marketing, baby. Sie hat den Sohn der Nachbarsfamilie überzeugt, doch den Käse zu machen, sagt sie mit schelmischem Blick, weil sie ihn brauchte. Essen und Trinken tun wir doch immer, entgegne ich anerkennend und bekräftige, in Deutschland sei Lokales und Altes (alte Sorten, traditionelle Techniken) längst ein Trend, dem begeistert gefolgt wird. Hier auf Sizilien wird es vergessen – ein Zeichen der Resignation? Um die eigene Heimat wertschätzen zu können, muss man sie aus der Ferne betrachtet, andere Orte gesehen und in ihnen gelebt haben, das steht für mich fest.
Am nächsten Morgen genießen wir ein exzellentes Frühstück, alles frisch und lecker (für mich braucht es keine riesige Auswahl) und die Sonne. Ich mache eine Runde um das Haus und bewundere den mehrhundertjährigen Olivenhain.
Weinanbau in Sizilien – Antica Tindari
Dann führt Pina uns spontan durch den Weinkeller Sie liebt es, nicht nur ihren Enkeln Sachen zu zeigen, sondern auch ihren Gästen.
Der Weinberg hat eine Verjüngungskur hinter sich, die Reben sind in regelmäßigen Reihen neu angelegt. Der Weinbau erfolgt nach Prinzipien biologischen Anbaus. Bei einem Ertrag von nur zwei Kilo Trauben pro Weinstock steckt die Pflanze ihre Kraft in diese wenigen Trauben, mit intensivem, kräftigem Ergebnis. Bei der sommerlichen Bewässerung kommen bewährte Techniken zum Einsatz. Auch am Ätna gibt es einen Tindari-Weinberg, auf 1.000 Metern Höhe gelegen sei er aber eher ein Experiment.
Von Wildkräutern und Wildgemüse wie Spargel, Brokkoli oder weißen Walderdbeeren erzählt Signora Pina mit Begeisterung. Diese energetische Frau sieht einfach überall Potenzial, eine echte Unternehmerin. Geschmeckt hat mir das Wilde am Abend zuvor auf jeden Fall.
Sizilianische Gastfreundschaft – das ist sie für mich: Interesse und Neugier für den Gast haben, das offene Gespräch mit den Gästen und Besuchern suchen; es lieben, den Gästen Sachen zu zeigen und zu erklären.
Was ist für Euch echte Gastfreundschaft? Wie habt Ihr die sizilianische Gastfreundschaft erlebt?